a) Der Text spricht sich gegen die Flut von Literaturpreisen aus und will dazu anregen, darüber nachzudenken, wie die adversialen Umstände vergangener Zeiten großartige Literatur hervorbrachten. Jungen nennt am Anfang eine Menge minder bekannter, niedrig dotierter Literaturpreise und fasst all dies selbst überspitzt zusammen: „Es gibt in Deutschland mehr Preise als Schriftsteller.“ (Z. 34) Seine Erklärung für diesen Zustand ist, dass man somit glaubt, der sterbenden Literatur nochmals etwas Gutes tun zu können. Mit der zynischen Hyperbel „[e]inen solchen Subventionsschub hat bislang nur die Steinkohle erfahren“ (Z. 47f.) verdeutlicht der Autor, wie viel Geld über diese Preise¹ dann doch ausgeschüttet wird, um dann die Frage aufzuwerfen, wieso die Literatur trotz dem „keine ungekannte Blüte“ (Z. 49f.) zeigt. Seine Antwort darauf: Ähnlich wie bei domestizierten Tieren, sei die Literatur „[z]utraulich geworden“ (Z. 52f.) und habe ihre „innere Natur“ (Z. 54) vergessen. Was er damit meint, verdeutlicht er sogleich: Die Gerechtigkeit nicht, sondern die „himmelschreiende Ungerechtigkeit“ (Z. 61f.) lässt den Autor erst schreiben. Diese These begründet er historisch, nicht zuletzt mit Alfred Döblin, der sich 1929 über die Duldung der Kunst und Literatur äußerte. Für diesen erklärte das diese für wirkungslos, getreu dem Motto: „Der Künstler ist ein Idiot, man lasse ihn ruhig reden.“ (Z. 77) Deshalb beanspruchte er für die Künstler ein „Recht auf Strafe“. (Z. 79) Nun beschreibt Jungen, wie dies heute noch viel, wie er findet, schlimmer ist: Der Literatur ¹, sowie über andere Förderungsformen, wird nicht mehr nur still geduldet, sondern mit Preisen überschüttet. Er schließt diesen Teil mit der Aussage ab, „niemand [könne sich] im Ernst die Zensur zurücksehnen“ (Z. 92), aber die „würdelose[]“ (Z. 95) Behandlung durch Hörbücher, Leseandachten, oder, noch schlimmer, die Menge an Preisen wäre sinnvoll. Zum Schluss sagt er, die großen Schriftsteller „schl[a]f[en] bloß“ (Z. 121), sind aber leicht aufzuwecken und fordert deshalb pointiert: „Schadet den Schriftstellern!“ (Z. 106) b) Armer Autor, Guter Autor? ––––––––––––––––––––––––– Oliver Jungen schreibt in der FAZ: „Autorenförderung? Hungert sie aus!“ Und so sehr das auch nach den Worten eines kulturfernen Misanthropen klingt, verbergen sich hinter dem Clickbait Thesen, die nicht so leicht von der Hand zu weisen sind. Literaturpreise. Mittlerweile gibt es von ihnen so viele, dass der Satz „Dieses Buch wurde mehrfach ausgezeichnet!“ schon völlig bedeutungslos ist. Wie uninteressant selbst große Literaturpreise sind, merkt man beim Umgang vieler Autor*innen mit ihren Preisen. Fragen Sie mal Felix Lobrecht, wie er sich über seine gefreut hat, oder schauen Sie es sich auf dem Philosophie-Kanal des SWRs an. Wenn nicht mal den Autor selbst die Auszeichnung kümmert, wie relevant kann diese dann für die Allgemeinheit sein? Aber den kleinen Künstler*innen ist mit dem – zugegebenermaßen auch nicht sonderlich großen – Preisgeld geholfen. Das stimmt und ist gut, aber wäre es dann nicht besser, diese schon im Entstehungsprozess zu unterstützen, anstelle sie dann nachher mit Geld zu überhäufen? Jahrelang in bitterer Armut zu leben, um dann mit seinem Bestseller Millionen zu machen, klingt doch mehr nach einer neuen, noch verrückteren Spielweise des „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Mythos' des Spätkapitalismus. Aber Oliver Jungen befürwortet in seinem Artikel diese Idee ja nicht, aber die braucht es auch nicht, ein Sozialstaat würde schon reichen, um seine Ideen mit dieser in Einklang zu bringen. Seine Hauptthese ist, dass die Kunstschaffenden nicht zu unterstützen, vielleicht sogar Repressalien zu unterlegen, der Kunst mehr hilft, als das Gegenteil zu tun. Dies kann nur bestätigt werden¹ Auch psychologisch²: Der am besten angepasste Autor bekommt Anerkennung und Geld. Fällt dies weg, ist die Kunst frei: Aber die preisunabhängige Förderung muss demnach auch fallen, weil sie die Kunst einengt auf den Geschmack des*der Förderers*in. Nun haben wir Autor*innen in Armut und vielleicht auch bessere Literatur, aber wir haben eben auch Armut. In der FAZ könnte man das natürlich nicht fordern, aber da müsste ein besserer Sozialstaat, z.B. mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, Abhilfe schaffen. Ist ein Leben ohne Armut für jeden Menschen garantiert, können Künstler*innen ihre Kunst machen und werden weder von den ökonomischen Zwängen der Armut, noch von der „Umarmung“ irgendwelcher Gremien tangiert.³ Man kann also konkludieren, dass die Grundidee von Oliver Jungen zwar absolut richtig ist und viele Literaturpreise abgeschafft werden sollten, man aber nach anderen, kreativitätsfördernden Maßnahmen suchen sollte, um diese Menschen nicht in Elend leben zu lassen, und auch, dass stärkere Sozialstaatsmodelle, wie eben das Bedingungslose Grundeinkommen, zumindest attraktive Lösungsansätze sind. ¹. Hört man beispielsweise mal Gregor Gysi zu, hört man, dass der Kapitalismus eine großartige Kunst und Kultur hervorgebracht hat, die ihn kritisiert, eben auch, weil Künstler*innen oft arm sind. ² ist das schlüssig ³ Die geforderte Freiheit der bestialischen Literatur wäre hier dann vorhanden, ohne, dass Künstler*innen dafür hungern müssen.